Sekretariat: Tel.: 05403/73150

Am 28.10.2024 erhielten die Teilnehmer:innen des Sozialen Seminars Einblicke in die Obdachlosigkeit in Osnabrück.

Mitten in Deutschland ohne ein Zuhause leben, auf der Straße, kein Rückzugsort, keine Sicherheit und keine dauerhafte Perspektive – für einige Menschen in unserer Gesellschaft ist dies traurige Realität. Auch in Osnabrück.

Um den Alltag dieser Menschen besser zu verstehen, hat unser Kurs vom Sozialen Seminar die Möglichkeit gehabt, am 28.10.2024 an einer alternativen Stadtführung durch Osnabrück teilzunehmen. Diese wurde von dem thematisch erfahrenen Sozialarbeiter Christian Eilermann des SKM geleitet. Er hat uns eindrücklich die Herausforderungen und Schicksale obdachloser Menschen vor Ort nähergebracht.

Das Soziale Seminar
Im Sozialen Seminar bei Frau Doerr setzen wir uns mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit, mit gesellschaftlichen Strukturen und damit einhergehenden Herausforderungen auseinander. Ziel des Seminars ist es, Einblicke in Lebensrealitäten zu gewinnen, die oft wenig Beachtung finden. Durch eine Exkursion zum Thema Obdach- und Wohnungslosigkeit konnten wir unser theoretisches Wissen durch Erfahrungen und persönliche Geschichten erweitern.

Wohnungslos oder obdachlos
Ein erster wichtiger Punkt, den der Sozialarbeiter uns erläuterte, war die Unterscheidung zwischen „wohnungslos“ und „obdachlos“. Während wohnungslose Menschen meist eine vorübergehende Zuflucht in einer Notunterkunft finden oder andere temporäre Lösungen nutzen können, leben obdachlose Menschen vollständig auf der Straße. In Osnabrück sind rund 600 Menschen wohnungslos, etwa 100 davon tatsächlich obdachlos. Diese Zahlen verdeutlichen, dass das Problem weitaus größer ist, als es auf den ersten Blick erscheint.

Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt
Ein weiteres Thema, das zur Sprache kam, war die schwierige Lage auf dem Wohnungsmarkt. Besonders für Menschen mit unterschiedlichen sozialen Herausforderungen – wie beispielsweise ein fehlendes festes Einkommen – ein enormes Problem. Zudem wird die Suche nach einem festen Wohnsitz oftmals durch Vorurteile erschwert, etwa für ehemalige Häftlinge, die nach ihrer Entlassung deshalb kaum Chancen haben, eine Wohnung zu finden. Andere  Personengruppen wie Geflüchtete sind vielfach von sozialen Leistungen ausgeschlossen und das erschwert ihre Lage zusätzlich, auf dem regulären Wohnungsmarkt unterzukommen.

Frauen in der Obdachlosigkeit
Besonders berührend war die Schilderung der Situation obdachloser Frauen, die etwa ein Viertel der Obdachlosen ausmachen. Viele Frauen nehmen große persönliche Risiken in Kauf und begeben sich teils in ungesunde oder gewalttätige Beziehungen, um sich durch die Nähe zu anderen Menschen eine gewisse Sicherheit zu verschaffen. Der Sozialarbeiter erzählte uns von Paaren, die gemeinsam auf der Straße leben und sogar solche, die sich dort gefunden haben - ein Zeichen dafür, wie existenziell zwischenmenschliche Bindungen für das Überleben in einer so prekären Situation sein können.

Verborgene Orte und Maßnahmen
Die Stadt Osnabrück hat verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Situation der Obdachlosen zumindest etwas zu lindern. Im Winter öffnen einige Kirchen ihre Vorhallen für Obdachlose, so dass sie Schutz vor der Kälte finden. Zudem gibt es Angebote wie die Tageswohnung (TaWo), die obdachlosen Menschen nicht nur die Möglichkeit bietet, dort zu essen, sondern auch einen Ort der Begegnung schafft, an dem sie sich entspannen, fernsehen oder telefonieren können. Ein besonderes Angebot ist ein kostenloser Haarschnitt, den eine Friseurin in bestimmten zeitlichen Abständen anbietet. Für obdachlose Menschen, die mit Tieren zusammen leben, gibt es das Projekt „Streuner“, das mit Futter und medizinischer Betreuung unterstützt.

Erinnerungen an die Verstorbenen
Ein Aspekt, der uns als Gruppe bewegt hat, war der Umgang mit obdachlosen Menschen nach ihrem Tod. In den Wohnheimen, in denen einige wohnungslose Menschen unterkommen, hängen Todesanzeigen und Fotos der Verstorbenen aus, so dass die Gemeinschaft von ihnen Abschied nehmen kann. In Osnabrück besuchten wir außerdem einen Platz, an dem ein Denkmal für unter der Brücke verstorbene wohnungslose Menschen aufgestellt ist – ein Zeichen des Respekts und der Erinnerung. Falls es keine Angehörigen gibt oder die Angehörigen finanziell nicht in der Lage sind, übernimmt die Stadt Osnabrück die Kosten der Beerdigung in enger Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern. Dies verdeutlichte uns, dass auch obdachlose Menschen ein würdiges Andenken und einen Ort des Abschieds verdienen.

Diskriminierende Maßnahmen im öffentlichen Raum
Eine traurige Seite der Exkursion war das Thema „defensive Architektur“. In vielen Städten sind öffentliche Sitzgelegenheiten so gestaltet, dass man sich dort nicht hinlegen kann – mit Armlehnen in der Mitte oder kürzeren Sitzflächen, so auch in Osnabrück. 

Auch unter Brücken oder in Unterführungen werden manchmal Steine oder Glassplitter ausgelegt, um diese Orte unattraktiv für Obdachlose zu machen. In Osnabrück gibt es solche Maßnahmen zwar nicht, aber der Sozialarbeiter erklärte, wie diese Form der architektonischen Ausgrenzung die ohnehin schwierige Lage vieler obdachloser Menschen verschärft.   

Fazit
Die Exkursion war für uns alle ein eindrucksvolles Erlebnis, das viele von uns nachhaltig beschäftigt hat. Die Zahlen, Geschichten und Herausforderungen der Menschen auf der Straße verdeutlichten uns, wie dringend es ist, Vorurteile und Unwissenheit abzubauen. Es liegt auch an uns, Verantwortung zu übernehmen und für eine Gesellschaft einzutreten, in der jeder Mensch ein würdevolles Leben führen kann – unabhängig von seiner sozialen Stellung oder seinem Lebensweg

Merle Gangei, Jg. 12

  • Bildergalerie: